Main image for post Doch kein Bevölkerungsrückgang in Deutschland?

Wichtige Erkenntnisse

  • Seit Jahren wird in Deutschland vom demografischen Wandel und dem Schrumpfen der Bevölkerung gesprochen.
  • Zuletzt ist die Bevölkerung im Jahr 2023 wieder um 300.000 Menschen gewachsen und zählt damit zum Jahresende 84,7 Millionen Menschen.
  • Grund für das plötzliche Wachstum der Bevölkerung ist die hohe Nettomigration in den vergangenen zwei Jahren.
  • Ohne eine zukünftig kontinuierliche hohe Nettomigration wird das Schrumpfen der Bevölkerung jedoch kaum aufzuhalten sein.

Zahl der Sterbefälle übersteigt seit Jahrzehnten die Zahl der Geburten

Seit Jahren reden wir in Deutschland über das Schrumpfen der Bevölkerung, über das Schwinden von Arbeitskräften und das Altern der Gesellschaft. Im Jahr 2020 trat das beschriebene Szenario schließlich ein: Die Bevölkerung war erstmals seit 2011 nicht gewachsen und im darauffolgenden Jahr 2021 um gerade mal 0,1 % bzw. 82.000 Personen.

Verwundern sollte die Entwicklung nicht. Schließlich hat Deutschland seit Jahrzehnten einen Sterbeüberschuss zu verzeichnen. Seit 1972 übersteigt die Zahl der Gestorbenen die Zahl der Geburten. Auch im vergangenen Jahr 2023 setzte sich der Geburtenrückgang fort und die Geburtenrate fiel auf den tiefsten Stand seit 2009. So wurden laut Schätzungen des Statistischen Bundesamts von Januar bis November nach vorläufigen Angaben 631.000 Kinder geboren. Das sind 7,5 % weniger als im gleichen Zeitraum des Jahres 2022. Das sich daraus ergebene Geburtendefizit für 2023 würde damit sogar das Geburtendefizit des Vorjahres übertreffen.

In den Vorhersagen zur Entwicklung der Bevölkerung wurde die Migration stark unterschätzt

Auch ein Blick auf die letzten Vorhersagen der Vereinten Nationen zur Bevölkerungsentwicklung zeigt: Unsere Bevölkerung sollte schon lange schrumpfen. In der World Population Prospects Revision von 1994 ging man noch von einem rapiden Schrumpfen der Bevölkerung ab 2005 aus, mit einer erwarteten Gesamtbevölkerung von rund 76,4 Millionen Menschen im Jahr 2025. Doch diese Zahlen wurden im Laufe der letzten Jahre immer weiter nach oben korrigiert. So wurde in der Revision von 2019 eine Bevölkerung von 83,5 Millionen vorhergesagt und in der Revision von 2022 wurde diese Zahl auf eine erwartete Bevölkerung von 83,2 Millionen Menschen im Jahr 2025 korrigiert.

Dass die Vorhersagen damit trotzdem die tatsächliche Bevölkerung des Jahres 2023 unterschätzen würden, damit konnte wohl niemand rechnen. So wuchs die Bevölkerung in Deutschland im Jahr 2023 um gut 300.000 Menschen und zählte schließlich laut dem Statistischen Bundesamt zum Jahresende rund 84,7 Millionen Menschen. So viele wie nie zuvor.

In der 2022 Revision gingen die Vereinten Nationen für ihre Bevölkerungsvorhersagen für Deutschland von einer durchschnittlichen jährlichen Nettomigration von 155.000 Menschen zwischen 2022 und 2025 aus. Allein in den Jahren 2022 bis 2023 verzeichnete Deutschland die fünffache mittlere Zuwanderung der von den Vereinten Nationen angenommenen 155.000 Menschen. Ist die Erzählung vom deutschen Bevölkerungsrückgang hiermit revidiert?

Ohne Rekord-Nettozuwanderung würde unsere Bevölkerung tatsächlich schon lange schrumpfen

Grund für das unerwartete Wachstum der deutschen Bevölkerung ist die hohe Nettozuwanderung der vergangenen zwei Jahre. Im Jahr 2022 lag die Nettozuwanderung nach Deutschland bei 1,46 Millionen Zugewanderten und damit noch höher als im Rekordjahr 2015, als insgesamt 1,14 Millionen Menschen nach Deutschland einwanderten und blieben. Im Jahr 2023 betrug die Nettozuwanderung laut aktuellen Schätzungen des Statistischen Bundesamtes etwa 700.000. Zwar hat sich die Nettozuwanderung damit im Vergleich zum Jahr 2022 halbiert, langfristig liegt sie aber immer noch auf einem hohen Niveau.

Unregelmäßige Zuwanderungsströme werden das Schrumpfen der Bevölkerung und den Fachkräftemangel nicht aufhalten

Wie schon 2015 war 2022 durch eine große Fluchtbewegung gekennzeichnet und die hohe Nettozuwanderung in diesen Jahren hat das Schrumpfen der Bevölkerung kurzzeitig aufgehalten. Wie die Zuwanderungsströme in Schüben kamen, ist jedoch mittelfristig eine Normalisierung der Wanderungsströme zu erwarten und diese zeigt sich bereits in den Daten: Laut einer vorläufigen Sonderauswertung des Statistischen Bundesamts wurde im Jahr 2023 nur noch eine Nettozuwanderung von 121.000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland erfasst. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 waren fast 960.000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland gezogen und geblieben.

Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?

Wurde das Schrumpfen unserer Bevölkerung also abgekehrt? Nein, sehr wahrscheinlich wurde es nur aufgeschoben. Wie zuvor dargestellt, verzeichnet Deutschland seit mehreren Jahrzehnten einen Sterbeüberschuss bzw. Geburtendefizit, das den Altersquotienten der Bevölkerung in die Höhe treibt. Auf dem Papier wurde das Schrumpfen der Bevölkerung zuletzt durch die große Zahl an Menschen aufgehalten, die aus der Ukraine nach Deutschland kamen, um Schutz vor dem Krieg zu suchen. Auch wenn laut einer Umfrage des IAB und des BiB zufolge 44 % der geflüchteten Menschen aus der Ukraine beabsichtigen, längerfristig in Deutschland zu bleiben, ist es noch immer ein Wunsch des Großteils der Menschen, irgendwann in ihre Heimat zurückzukehren. Zugleich normalisieren sich die hohen Zuwanderungszahlen der vergangenen zwei Jahre bereits.

Ein weiteres Problem: Für nach Deutschland geflüchtete Personen ist der Zugang zum Arbeitsmarkt schwierig. Während in den Niederlanden, Polen und Dänemark deutlich mehr als die Hälfte der ukrainischen Geflüchteten eine Beschäftigung gefunden haben, sind es in Deutschland gerade einmal 17%. Es gibt viele Beschränkungen und Zugangshürden, es fehlt an Kinderbetreuung und die Ämter zur Überprüfung beruflicher Qualifikationen sind überlastet.

Wir können also nicht sagen, dass der Bevölkerungsrückgang samt Fachkräftemangel schlagartig gelöst seien. Ohne eine gleichmäßig hohe Nettozuwanderung wird sich der demografische Wandel in Deutschland vermutlich weiter fortsetzen und die Fachkräftelücke wachsen. Und selbst wenn alle im Jahr 2022 zugewanderten Menschen in Deutschland blieben und direkt eine Arbeit fänden, ließe sich die von der DIHK beschriebene Fachkräftelücke von 1,8 Millionen Stellen nicht schließen. Um wirtschaftlich bestehen zu können, ist Deutschland deswegen weiterhin auf eine erhebliche Zuwanderung von Fachkräften angewiesen und muss die genannten Zugangshürden zum Arbeitsmarkt für Migrant*innen dringend senken.